Überblick

Mittwoch, 10. Juni 2015

REZENSION: Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof

Letztes Jahr im Herbst war ich mit einem Freund im Dungeon in Berlin.
Dort wird der gruselige Teil der Berlin-Geschichte schauspielerisch aufgearbeitet: Die Pest, die weiße Frau der Hohenzollern - und der Frauenmörder Karl Großmann.

Moment... Karl WER???

Ich (immerhin Berlinerin UND Historikerin) saß etwas ratlos da und hatte keine Ahnung, wer Karl Großmann ist. Ein Schicksal, was ich offenbar mit vielen Deutschen teile, wie ich später erfahren musste, handelte es sich hierbei doch um eine so grausame Geschichte, dass sie offenbar (wie einiges andere auch in unserer Vergangenheit) lieber verdrängt worden ist.

Ein Buch musste her und da war der Dokumentarische Kriminalroman "Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof" von Horst Bosetzky genau das Richtige.


Autor: Horst Bosetzky
Titel: Die Bestie vom Schlesischen Bahnhof: Doku-Krimi aus dem Berlin der 1920er Jahre
Verlag: DTV (später Neuauflage bei Jaron)
Seiten: 319


Kurzinhalt:

Berlin um 1920. Rund um den Schlesischen Bahnhof verschwinden immer wieder Frauen. Leichenteile schwimmen im Luisenstädtischen Kanal. Der Verdacht fällt zunehmend auf den Wurstverkäufer Karl Großmann. Doch es dauert viel zu lange, bis die Polizei endlich zuschlagen kann. Und selbst dann fällt es schwer, Großmann etwas nachzuweisen.


Meine Meinung:

Es ist Horst Bosetzky (bekannt auch unter dem Pseudonym -ky) zu verdanken, dass die Geschichte von Karl Großmann in diesem Buch nicht nur penibel aufgearbeitet worden ist (zahlreiche Dokumente, Zeitungsartikel und Gerichtsakten hat er dafür durchforstet), sondern auch, dass er den Blick auf eine Zeit lenkt, in der die Menschen so arm sind, dass zahlreiche Frauen sich vor Hunger prostituieren müssen und es Großmann insofern überhaupt erst möglich ist, leicht Opfer zu finden.

Bosetzky beginnt mit der Kindheit des Serienmörders, die bereits von Gewalt und fehlendem Halt geprägt ist. An einer späteren Stelle des Buches schreibt er:
"Kein Zweifel: Karl Großmann ist in dieser Hinsicht selber Opfer, jemand, dem es verwehrt worden ist, Mensch zu werden." (S.295)

Dennoch bleibt die Frage, warum soviele Menschen, die eine ähnliche Kindheit erlebt haben, sich dennoch in eine Gesellschaft eingliedern können, ohne kriminell zu werden. Eine wirkliche Antwort lässt sich darauf nicht finden, auch wenn der Autor neurologische und psychatrische Überlegungen anführt, die letztlich alle nur Vermutungen bleiben können.

Zumal die Geschichte Großmanns auch eine unglaubliche Geschichte der Vertuschung und der verschlossenen Augen ist.

So fragt man sich, mit welcher Abgebrühtheit dieser Mann ständig zur Polizei rennen konnte, um Diebstähle anzuzeigen, die von seinen "Wirtschafterinnen" begangen worden sind.
Tatsächlich hatte er zu diesem Zeitpunkt mehr als einmal "Selbstjustiz" begangen, wobei bis zum Schluss nicht geklärt ist, ob es diese Diebstähle tatsächlich gegeben hat oder er diese nur vorschob, um sein Tun zu rechtfertigen.

Es bleibt auch ein Rätsel, dass der Geruch, über den Nachbarn im Haus immer wieder klagten, so lange toleriert worden ist. Da Großmann selbst aufgrund eines Defektes keinen Geruchssinn hatte, fiel ihm selbst nicht auf, dass seine Opfer, die er "nach und nach" entsorgte, zu riechen anfingen.

Doch Großmann fand für alles Ausreden, wie später auch in Haft, so dass ihm kaum etwas nachzuweisen war (für entsprechende Untersuchungsmethoden reichten die damaligen Möglichkeiten auch noch nicht aus).

Bosetzky weist daraufhin, wie schwer es ihm oft fiel, diese so grausame Geschichte zu schreiben, sich in den Serienmörder hineinzuversetzen.
Dabei gelingt ihm die Sprache der Zeit genauso meisterlich wie die unglaublichen Argumentationsketten, mit denen Großmann die Polizei an der Nase herumführte.

Man bleibt erstaunt zurück, wie einem so einfachen und offenbar schwer gestörtem Menschen dies gelingen kann gegenüber einem Polizei- und Justizapparat, die alle Doktorentitel vor sich her tragen. Dies verwundert umso mehr, wenn man den (selbstgeschriebenen!) Lebenslauf Großmanns im Anhang liest.

Fazit:

Ein grausames Stück Berlin-Geschichte, großartig aufgearbeitet.


3 Kommentare:

  1. Das klingt erschütternd - und ich denke oft bei alten Kriminalfällen, dass es ein Wunder ist, dass der Täter nicht früher geschnappt wurde. Aber man war bei den Ermittlungen eben nicht dabei und weiß nicht, warum welche Hinweise nicht so viel Beachtung geschenkt wurde oder warum andere Verdächtige stimmiger schienen oder ... ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich bewundere ohnehin, wie die mit den damaligen Mitteln recherchieren und auch Erfolge verbuchen konnten.
      Leider fiel es solchen Massenmördern wie etwas Großmann dadurch aber eben auch leichter, ihrer Taten lange zu vertuschen.

      Löschen
  2. Leichenteile und Wurstverkäufer ließen mich jetzt gleich mal an das schlimmste denken, aber anscheinend waren das immerhin "nur" Vermutungen. Trotzdem eine sehr erschütternde und schaurige Sache.

    Solche wahren Verbrechensgeschichten finde ich ja einerseits sehr interessant, andererseits halte ich mich davon aber eher fern, seit mir ein Bericht über die Morde von Hinterkaifeck schlaflose Nächte beschert hat ...

    AntwortenLöschen