Dienstag, 11. September 2012

REZENSION: Vor dem Morgen liegt die Nacht

Autorin:    Claudia Breitsprecher
Verlag:      Krug & Schadenberg
Seiten:      297

Kurzinhalt:

Als Nina ihre ehemalige Nachbarin Maria Conti nach über 20 Jahren bei einem Theaterbesuch wiedertrifft, bricht nicht nur für sie eine Welt für zusammen.
Es ist Michelle, die Nichte von Maria, die beginnt, die Geschichte, die die beiden Frauen einmal miteinander verbunden hat, aufzuarbeiten und sich dabei auch Nina immer mehr annähert.

Meine Meinung:

Ich habe lange überlegt, was es eigentlich mit dem Titel auf sich hat: "Vor dem Morgen liegt die Nacht."
Wenn man davon ausgeht, dass der Morgen immer etwas mit einem Neuanfang, einem Aufbruch zu tun hat, so ist die Nacht noch das Verharrende und eben Dunkle, das es bis dahin zu überwinden gilt.

Verharren tun alle Figuren auf ihre Weise und das über einen so langen Zeitraum, dass ich irgendwann Probleme hatte, die Geschichte noch als "glaubwürdig" zu verstehen. Oder immer mal wieder von dem  Bedürfnis getrieben war, den einen oder anderen Protagonisten zu schütteln und in seinem ganzen Denken und Sein voranzutreiben, um die "Nacht" eben zu überwinden.

Dies erscheint besonders signifikant, da Michelle an einer relativ frühen Stelle des Buches zu Nina sagt, "dass wir in jedem Moment unseres Lebens die Wahl haben, uns auf die eine oder andere Weise zu verhalten. Wie sehr wir immer wieder überlegen müssen, welchen Aspekt unseres Seins wir in den Vordergrund rücken wollen." (S. 72)

Die Figuren des Buches haben sich für das Verharren entschieden. Aber letztlich kommt nur durch dieses Verharren der Plot zustande, den die Autorin hier webt.

Nina ist seit dem tödlichen Autounfall ihrer Eltern erstarrt und verharrt in Depressionen, genauso wie in der Wut auf Maria, die vor über 25 Jahren (!) aus ihrem Leben einfach verschwunden ist.

Michelle verharrt in ihrem Liebeskummer und der Enttäuschung nach ihrer ersten Liebe (immerhin auch schon fast 20 Jahre her) und möchte sich daher nicht mehr neu verlieben.

Ihre Tante Maria verharrt in alten Verhaltensweisen, da sie ihr ganzes Leben irgendwie immer auf der Flucht war und nirgendwo richtig anzukommen scheint - genausowenig wie sie bereit ist, ihr Verhalten zu erklären.

Michelles Vater (Bruder von Maria) verharrt in seiner Trauer um die DDR und damit ein System, an das er geglaubt hat und missgönnt seiner Tochter den Erfolg, den sie in dem neuen Staat hat.

Mit diesem Habitus war er vor allem die Figur, mit der ich am meisten Probleme hatte. Sicherlich mag es sie geben, diese "Unverbessserlichen", die nie in in dem neuen System angekommen sind, verbittert sind durch den Verlust ihrer Arbeit etc.
Aber auch so lange nach der "Wende" nicht zu begreifen, dass die nachfolgende Generation andere Chancen hatte und diese auch nutzte, da sie sonst selbst in dem neuen Staat untergegangen wäre?
Ja, deswegen mit dem eigenen Kind über Jahre nicht zu reden, als hätte sie persönlich die Mauer eingerissen?

Tatsächlich spricht er jetzt, nach so vielen Jahren noch davon, wie er seine Tochter noch immer in dem "blauen  Hemd" der Pioniere (liebe West-Autorin, das Hemd war weiß, aber das nur am Rande) sieht.
Das finde ich immer besonders problematisch bei Menschen, die einer Generation angehören, die selbst irgendwann noch ein braunes Hemd getragen haben bzw. damit in irgendeiner Weise konfrontiert waren.
Denn auch das Leben der Eltern im Nazi-Deutschland wird thematisiert (was mir irgendwann dann doch zuviele Verwicklungen und Verwebungen waren, da ich immer mal wieder zurückblättern musste, wer jetzt genau was erlebt hat).

Es ist als Verdienst der Autorin anzusehen, die noch so wenig aufgearbeitete Ost-West-Problematik mit in dieses Buch zu bringen. Leider sind die Glaubwürdigkeit der Figuren und damit die Motive, die sie antreiben, dabei irgendwann unterwegs auf der Strecke geblieben.

Fazit:

Breitsprecher hat einen interessanten Plot entwickelt, der zur Folie für die Liebe zweiter Frauen wird. Gerade diese sich entwickelnde Liebe zwischen Nina und Michelle geht aber völlig unter vor dem Hintergrund so vieler miteinander verwobener Geschichten und tatsächlicher Geschichte.
Hier hat die Autorin insgesamt zuviel gewollt. Dennoch ein lesenswertes Buch.



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